Leistungsdruck: Hälfte der Kinder und Jugendlichen will „perfekt“ sein
14. August 2025, 12:26 aus Die Presse
Die Schule macht Kindern und Jugendlichen laut einer Umfrage der Initiative „Mental Health Days“ am meisten Druck. Lehrer sehen Handysucht als größeres Problem.
Knapp zweieinhalb Wochen vor Schulbeginn machen neue Zahlen, die unter Schülerinnen und Schülern sowie Eltern und Pädagogen erhoben worden sind, aufmerksam. Vor allem die Kinder und Jugendlichen - mehr als 14.000 wurden befragt - gaben an, dass ihnen der Leistungsdruck zu schaffen macht. 49,7 Prozent der Befragten streben nach Perfektion, ergab die Umfrage der Initiative „Mental Health Days“ in 138 Schulen in acht Bundesländern.
Der Initiator der „Mental Health Days“, Golli Marboe, stellt sich bei der Präsentation der Zahlen am Donnerstag die Frage, ob Perfektionismus „Gift für die Psyche“ sei. „Der oder die Beste zu sein, ist auf Dauer nicht haltbar“, sagte Barbara Haid, Präsidentin des Österreichischen Bundesverbands für Psychotherapie (ÖBVP). „Weil über dieses Bestreben, sehr gut zu sein, perfekt zu sein, stabilisieren wir Menschen unseren Selbstwert.“ Doch dann würden andere Menschen ins Spiel kommen und man versuche auch in deren Augen genauso perfekt zu sein. „Immer der oder die Erste zu sein, das geht sich nicht aus“, meinte Haid. „Wir befinden uns in einem Teufelskreis. Weil Perfektionismus ist für uns Menschen nicht erreichbar.“ Auch mit Niederlagen müsse umgegangen werden.
Was den Kindern und Jugendlichen am meisten Druck macht, ist mit 6163 Nennungen die Schule. Die Noten werden 551 Mal genannt. Erstaunlich hoch ist auch die Nennung der Erziehungsberechtigten als Druckmittel (1.174 Mal). „Die wenigsten Eltern machen das in böser Absicht“, meinte Haid. Den meisten Eltern geht es darum, dass ihre Kinder gut und gesund erwachsen werden können. „Und sie machen sich oft Sorgen, wenn sie in der Schule nicht gut performen, dass sie dann einfach kein gutes Leben mittelfristig haben.“ Elternteile würden auch nicht erfüllte Wünsche, Sehnsüchte, berufliche Chancen unbewusst auf ihre Kinder projizieren. Deswegen sei die Sensibilisierung so wichtig, sagte die ÖBVP-Präsidentin.
Lehrer sehen Handysucht als größtes Problem
Auch die Lehrerinnen und Lehrer sehen bei ihren Schülern den zunehmenden Leistungsdruck und nannten dieses Problem 727 Mal von 2514 gültigen Antworten. Mobbing wurde 444 Mal genannt. Doch viel problematischer wird die Handysucht angesehen (1023 Nennungen).
„Ich finde es nicht überraschend. Es ist wichtig, bei diesem Thema ganz genau hinzuschauen“, sagte Bildungsminister Christoph Wiederkehr (Neos). „Handysucht ist gleich ernst zu nehmen, wie Alkoholsucht oder Nikotinsucht. Das wurde aber lange nicht gesehen und auch nicht gesellschaftlich beachtet.“ Deswegen wurde im Schulbereich eine handyfreie Zone erlassen. Denn die Handysucht würde auch mit Leistungsdruck über Social Media und Mobbing zusammenhängen, so Wiederkehr. Die Eltern haben übrigens diese drei Problematiken ebenfalls unter ihren Top 3 genannt. „Wir müssen Bewusstsein schaffen (...) und einen gesunden Umgang mit dem Handy und den digitalen Medien ermöglichen, denn die bieten auch einen großen Mehrwert“, sagte der Bildungsminister.
Die „Mental Health Days“ sind ein österreichweites Präventionsprogramm zur Förderung der mentalen Gesundheit. Seit seinem Start im Jahr 2022 fanden die Aktionstage in mehr als 200 Schulen statt, inzwischen wurden 150.000 junge Menschen in acht Bundesländern erreicht. Das Projekt wird von einem wissenschaftlichen Beirat und einem neu gegründeten Jugendbeirat unterstützt. Julia Miklas, Mitglied in dem neuen Jugendbeirat, hätte sich in ihrer Lehrlingszeit mehr mentale Unterstützung gewünscht. Als ein Mitschüler verstorben war, musste erst eine Schulpsychologin anreisen, um den Jugendlichen beizustehen. Aus diesem Grund werden die knapp 190 Stellen jetzt aufgestockt. Denn ein Psychologe muss sich laut Wiederkehr um 6.000 Schüler kümmern. Im Verlauf des kommenden Schuljahrs sollen 70 Posten dazukommen, 2026/27 erneut 70. Geplant sind neben mehr Personal in Schulpsychologie und Schulsozialarbeit auch der Ausbau von Präventionsprogrammen, sowie verpflichtende „Exit-Gespräche“, wenn bei Kindern oder Jugendlichen der Schulabbruch droht.
Die Vision der „Mental Health Days“ ist es, bis zum Jahr 2030 alle rund 2.500 Schulen der Sekundarstufe 1 und 2 in Österreich erreicht zu haben. Für diesen Vollausbau braucht es jährlich etwa acht Millionen Euro, appellierte Initiator Golli Marboe. (APA)
14. August 2025, 12:26 aus Die Presse