Journalismus, der Leben retten kann
Gastkommentar von Golli Marboe 09. September 2025, 15:23, aus Die Presse
Zur Berichterstattung über Suizid: Stellen Medien nur einen Weg vor, zeigen sie Menschen in ähnlichen Situationen nur eine Lösung auf.
Menschen, die durch Suizid sterben, möchten nicht tot sein. Sie halten das Leben nur so, wie es sich gerade anfühlt, nicht mehr aus.
Jedes Jahr am 10. September, dem Welttag der Suizidprävention, wird der Papageno-Medienpreis verliehen, ein Preis für Journalistinnen, die suizidpräventive Beiträge veröffentlicht haben. Der Name geht auf Forschungen der Med-Uni Wien zurück, die vor 15 Jahren gezeigt haben, dass Kommunikation über Suizidalität Menschenleben retten kann. Wenn man beschreibt, dass jede noch so ausweglos scheinende Krise bewältigbar ist und dass jeder Mensch, der geht, von Hinterbliebenen vermisst wird, dann hat Berichterstattung über Suizid keine Nachahmung zur Folge, sondern macht in suizidalen Krisen sogar ein wenig Hoffnung. Genau so wie bei Papageno in der Zauberflöte. Er möchte sich das Leben nehmen, aber die Drei Knaben erinnern an das Glockenspiel, das ihn aus seiner misslichen Lage befreit: Hilfe von außen zur Selbstermächtigung.
Ja, man soll über (assistierte) Suizide berichten. Bei drei Menschen täglich, die sich in Österreich das Leben nehmen, ist es ein relevantes Thema. Aber es gibt unterschiedliche Formen der Kommunikation: Aktivistische Kommunikation, oft in sozialen Medien zu finden, will von einer Position überzeugen, zeigt vermeintlich einfache Lösungen auf und funktioniert ähnlich wie Werbung. Journalistische Kommunikation zeigt dagegen unterschiedliche Blickwinkel auf und ermächtigt so die Rezipientinnen, aus mehreren Aspekten für sich selbst den besten Weg auszuwählen.
Begleiten Journalistinnen nun jemanden bei der Vorbereitung auf einen assistierten Suizid, können sie entweder – wie gerade geschehen – mehr oder weniger unmoderiert einen möglichen Weg im Umgang mit dem letzten Teil des Lebens darstellen. Oder sie können andere Lebenswege danebenstellen, wie den Abschied im Hospiz. Stelle ich nur einen Weg vor, zeige ich auch nur die eine Lösung. Das provoziert den sogenannten Werther-Effekt. Denn für Menschen in ähnlichen Situationen wird nur eine Lösung aufgezeigt.
Was ist Würde?
Gerade wenn es um psychische Krisen geht, sollten Journalistinnen wissen, dass es nie das eine Rezept gibt. Jeder Mensch ist anders und versteht auch den Begriff der Würde anders. Ist ein Mensch, der nicht mehr sprechen kann, immobil oder dement ist, ohne Würde? Wer sind wir, so etwas zur allgemeingültigen Position zu machen oder solche Positionen unkritisch zu vervielfältigen? Erinnert das nicht an Zeiten, die vorbei sind?
Qualitätsjournalismus stellt Fragen, zeigt Dilemmata und Missstände auf, z. B. im Gesundheitswesen. Aber er hat die Pflicht, unterschiedliche Aspekte zu beschreiben und keine vermeintlich einfachen Lösungen als solche zu kommunizieren.
Ganz schwierig wird es, wenn Journalismus Thesen für die Zukunft zulässt und diese nicht doppelt checkt. Ich bin selbst Hinterbliebener eines Sohnes, der sich das Leben genommen hat. Wie hätte ich im Vorfeld dieser Tragödie erahnen oder beurteilen können, wie es mir nach dem Tod meines Kindes gehen würde? Nein, man darf in der Berichterstattung über Suizidalität – auch über assistierten Suizid – Angehörigen nichts in den Mund legen.
Ganz anders heute beim Papageno-Medienpreis im Presseclub Concordia: Da wird ein Beitrag ausgezeichnet werden, der den Empfehlungen zur Berichterstattung über Suizidalität entspricht. Ein Beitrag, der helfen möchte, Leben zu retten.
Gastkommentar von Golli Marboe 09. September 2025, 15:23, aus Die Presse